Brexit: Auswirkungen auf europäische Patente, Marken und Designs

Union JackAm 23. Juni 2016 stimmen die Briten im Rahmen eines Referendum darüber ab, ob Großbritannien künftig Mitglied der Europäischen Union (EU) bleiben wird. Im Falle eines Austritts (engl. „Brexit„, Kunstwort aus „Britain“ und „Exit“) wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union gemäß Art. 50 (2) EU-Vertrag innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren verlassen.

Auf die Harmonisierung des europäischen gewerblichen Rechtsschutzes hätte ein Brexit erhebliche Konsequenzen. Die wichtigsten Auswirkungen können wie folgt zusammengefasst werden.

1. Marken- und Geschmacksmusterrecht

Die Verordnung (EG) Nr. 207/2009, in welcher die Unionsmarke (EU-Marke) materiell- und verfahrensrechtlich geregelt wird, verlöre im Falle eines Brexits die Wirkung in Großbritannien. Die Inhaber von EU-Marken bzw. Anmelder von EU-Markenanmeldungen müssten ihre europäischen Schutzrechte im Wege einer Umwandlung gemäß Art. 112 bis 114 der Verordnung in ein nationales Schutzrecht in Großbritannien umwandeln oder auf ihre Markenrechte in diesem Land verzichten.

Ähnliches gilt für die Verordnung (EG) Nr. 6/2002,  in welcher das Gemeinschaftsgeschmacksmuster geregelt ist. Im Falle eines Brexits verlören Gemeinschaftsgeschmacksmuster grundsätzlich die Wirkung in Großbritannien. Im Gegensatz zum EU-Markenrecht sieht jedoch die Verordnung (EG) Nr. 6/2002 keine Umwandlung vor, so dass fraglich ist, ob und wenn ja wie die Schutzwirkung mit Wirkung für Großbritannien erhalten werden kann.

Zudem könnte künftig in Gemeinschaftsgeschmacksmusteranmeldungen und Unionsmarkenanmeldungen das Vereinigte Königreich nicht mehr benannt werden.

2. Patentrecht

Ein vom Europäischen Patentamt erteiltes EU-Einheitspatent (Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung) hätte nach dem Austritt keine Wirkung in Großbritannien mehr. Für die Errichtung des einheitlichen Patentgerichtes existieren zwei mögliche Szenarien. Zum einen könnte das Patentgerichtes ohne Großbritannien errichtet werden. Das Gericht erster Instanz hätte voraussichtlich in London keine Außenstelle. Ersatzweise könnte diese Außenstelle in einer anderen Stadt errichtet werden. Zum anderen besteht jedoch die Möglichkeit, dass der Fahrplan zur Errichtung des Gerichts durch den Brexit behindert wird und es zu Verzögerungen kommt.

Für die Errichtung des Patentgerichtes ist es notwendig, dass von den 25 teilnehmenden Staaten mindestens 13 Länder das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht ratifizieren, darunter zwingend die drei Teilnehmerstaaten mit den meisten Validierungen Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Da Italien im Jahr 2012 nach Frankreich das Land mit der höchsten Anzahl von validierten europäischen Patenten war, würde Italien an die Stelle der drei zwingenden Teilnehmerstaaten aufrücken. Problematisch ist zudem, dass Italien bisher bei der Umsetzung des Vertrages in nationales Recht keine Anstrengungen unternommen hat. Ein Nachtrag zum Abkommen wäre deshalb erforderlich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es zu Verzögerungen kommen.

Auf europäische Patente und Patentanmeldungen ohne Einheitswirkung hätte ein Brexit dagegen keine Auswirkungen, da Großbritannien weiterhin Vertragsstaat des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) bliebe.

3. Auswirkungen auf Patent- und Markenlizenzen

Bestehende Patent- und Markenlizenzverträge sollten auf mögliche Auswirkungen eines Brexits überprüft werden. Sofern der Fall eines sich verändernden Lizenzgebietes nicht explizit vertraglich geregelt ist, wäre der Wille der Vertragspartner durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln.

Gleiches gilt für geschlossene Abgrenzungsvereinbarungen und ähnliche Verträge.

4. Auswirkungen auf Erschöpfung von Rechten

Im Falle eines Brexits müsste das bestehende Erschöpfungsrecht modifiziert werden.

Nach geltendem Recht können Waren nach dem ersten Inverkehrbringen durch den Schutzrechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung frei über das Gebiet der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bewegt werden. Nach dem Austritt Großbritanniens wäre es dem Patentinhaber dagegen möglich, den Import von marken- bzw. patentrechtlich geschützten Waren aus Großbritannien nach Europa bzw. aus Europa nach Großbritannien zu untersagen.

Aus Gründen des Bestandsschutzes dürften jedoch bereits erschöpfte Rechte auch nach einem Brexit weiterhin erschöpft bleiben. Für nicht erschöpfte Rechte ergäbe sich hingegen eine geänderte Rechtslage.

5. Notwendigkeit der Einführung von Übergangsregelungen

Im Interesse der Patent- und Markeninhaber sollten nach einer positiven Brexit-Entscheidung von den europäischen und britischen Gesetzgebern umfassende Übergangsregelungen ausgearbeitet werden, die die Rechtssicherheit bezüglich der bestehenden und künftiger Schutzrechte gewährleisten.

Den Anmeldern von Marken und Designs ist in diesem Fall bis zum Inkrafttreten der Übergangsregeln zu empfehlen, ergänzend zur Anmeldung von Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmustern auch die Einreichung nationaler Marken und Designs in Großbritannien in Erwägung zu ziehen.

Weitere verfahrensrechtliche Änderungen sind dagegen für Schutzrechtsinhaber von untergeordneter Bedeutung. Großbritannien hätte nach einem Brexit keine Vertreter im Europäischen Parlament oder Europäischen Rat. Im Gerichtshof der Europäischen Union (CVRIA) würde kein britischer Richter mehr an EU-Rechtsprechung mitwirken. Etablierte und künftige EU-Gesetzgebung und Rechtsprechung wären unweigerlich von einem Brexit betroffen.

6. Unsere Einschätzung

Es wäre aus unserer Sicht im Interesse der Schutzrechtsinhaber und Anmelder wünschenswert, wenn im Falle eines Brexits zeitnah Sonderregelungen ausgehandelt würden, um die Rechtssicherheit für die Schutzrechtsinhaber zu erhöhen. Eine Verschleppung oder gar Verweigerung derartiger Verhandlungen seitens der EU – etwa um ein abschreckendes Exempel an einem Austrittsland zu statuieren – wären kontraproduktiv und wären abzulehnen.

Bestehende Regeln des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) bzw. der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) sowie der Welthandelsorganisation (WTO) könnten hierzu angewendet und notfalls angepasst werden, wie dies vom ehemaligen britischen Außenminister Lord David Owen in einem Interview vorgeschlagen wurde.

Update (24.06.2016): Die Abstimmung ist durch mit dem Ergebnis, dass der Brexit kommen wird. Die Entscheidung muss allerdings noch vom Parlament bestätigt werden. Die Bestätigung ist jedoch wahrscheinlich.

Foto: © Christina Saint Marche, [CC BY-NC-ND 2.0]

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3 Antworten zu Brexit: Auswirkungen auf europäische Patente, Marken und Designs

  1. Thomas sagt:

    Es bleibt abzuwarten, zu welcher Entscheidung man am Freitag kommen wird, aber jetzt kann man schon ganz klar sagen, dass das ganze nicht ohne Folgen bleibt, egal welches Ergebnis am Ende erzielt wird.

  2. Marc sagt:

    Hallo Dirk,

    bleibst du bei deiner Aussage, dass nach dem positiven Referendum parallel zu EU-Schutzrechten sicherheitshalber noch nationale Schutzrechte (Marken und Designs) in Großbritannien angemeldet werden sollten?

    -Marc

  3. @Marc:

    Vielen Dank, Marc. Es ist sicherlich schwierig, in dieser Situation gute Empfehlungen zu geben.

    Wer einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU für möglich hält, sollte sicherheitshalber sein Schutzrechtsportfolio durch Einreichung nationaler Marken und Designs in Großbritannien absichern.

    Andererseits hat Großbritannien bisher noch nicht einmal einen Antrag gemäß Art. 50 EU-Vertrag gestellt. Es könnte sein, dass sich in der nächsten Zeit eine politische Lösung finden lässt, mit der alle leben können. Ein politische Einigung wäre aus wirtschaftlichen Gründen der vernünftige Weg.

    Wer eine politische Lösung für einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU für wahrscheinlich hält, sollte deshalb eher abwarten. Rein rechtlich hat das Referendum zunächst keine Bindewirkung.

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